Unsere Gastautorin Birgit Prochazka schildert, wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Diözese Eisenstadt auf die geänderten pastoralen Anforderungen durch die Corona-Maßnahmen reagiert haben: aus einer Reflexionsrunde entwickelte sich mehr. Ein Einblick, wie die pastoraltheologische Reflexion einer lernenden Kirche vor Ort aussehen kann.
Neue Situationen erwecken neue Bedürfnisse
Die coronabedingten Maßnahmen, die mit März einsetzten, veränderten vieles. Im privaten, beruflichen und öffentlichen Bereich. Auch im kirchlichen Bereich wurde „alles auf den Kopf gestellt“, was uns Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stark herausforderte. Zunächst war vieles unklar, wir warteten auf Entscheidungen, die meisten richteten sich mit mehr oder weniger Schwierigkeiten ihr Homeoffice ein. Während einige ganz schnell reagierten und mit flexiblen, phantasievollen Ideen den „neuen“ Berufsalltag bestritten, waren andere planlos, ratlos und taten sich mit der neuen Situation schwer.
Am Beginn der Coronazeit artikulierten einige pastorale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor allem auf pfarrlicher und kategorialer Ebene im Zuge eines Workshops das Bedürfnis nach einer Reflexionsgruppe aus mehrfachen Gründen:
Die üblichen Formen des Austausches wie Sitzungen auf Pfarr- und Dekanatsebene, der Berufsgemeinschaft etc. fielen weg. Darauf wurde auf Diözesanebene mit wöchentlichen Besprechungen schnell reagiert. Für Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Pfarren gab es jedoch noch keine strukturierten Angebote. Zudem hatten sich die Rahmenbedingungen für Seelsorge auf pfarrlicher und kategorialer Ebene abrupt geändert. Schon vor der Coronazeit beschäftigten sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit der Frage, welche (neuen) Wege Seelsorge, Pastoral und Kirche gehen soll, kann, darf…? Nun sind plötzlich ganz neue Aspekte dazugekommen, die viele aus gewohnten Bahnen geworfen haben.
Aus diesem Bedürfnis heraus initiierte die Leiterin des Bildungshauses St. Stephan – selber auch Pfarrgemeinderätin – die „Montagsreflexionsrunde“ für Kolleginnen und Kollegen per Videokonferenz. Als informelles Austauschtreffen gestartet, war dieser wöchentliche Austausch von etwa 8 – 12 Teilnehmerinnen und Teilnehmern eine wertvolle Ressource in dieser so unklaren Zeit, die laufend neue Fragestellungen aufwarf und teilweise auch rasch Lösungen erforderte.
Fragen über Fragen
Der Austausch entwickelte sich anhand dieser Fragen:
- Wie geht es uns mit dieser Situation und wie geht es den Menschen in unseren Gemeinden?
- Wie versuchen wir in der Pfarre, im Seelsorgeraum, in der kategorialen Seelsorge auf die veränderten Rahmenbedingungen zu reagieren und welche Projekte und kreativen Wege entstehen dabei?
- Wie kann (pfarrliche) Seelsorge in Zeiten der „neuen Corona-Normalität“, die noch Wochen und Monate dauern kann, gehen?
- Wie gelingt uns die Kommunikation und das Kontakthalten mit Gemeindemitgliedern und mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern?
- Welche unserer neuen Erfahrungen finden Anklang und könnten auch nach der Coronazeit beibehalten werden?
- Welche interessanten Initiativen und Projekte haben wir andernorts entdeckt?
- Welche Gedanken, Ideen, Visionen zur aktuellen Situation sind uns in den letzten Tagen durch den Kopf gegangen?
- Welche theologischen Artikel oder Ansätze haben uns angesprochen und sind bedenkenswert?
Dabei kam eine überraschend große Vielfalt an Themen, Ideen, Initiativen, Fragen, Ermunterungen und Problemen zur Sprache: Es ging um Angebote für die Hauskirche und die Ermutigung der Menschen, selbst um Gottes Segen für Palmzweige oder die österlichen Speisen zu bitten, es ging darum, wie man den Kontakt zu alten und kranken Menschen halten kann, die über die Angebote in digitalen Medien nicht erreichbar sind, es ging um Kinder und Jugendliche, die möglicherweise als Verlierer der Coronazeit zu sehen sind, darum, wie sie erreicht werden können, dass sie geschätzt und begleitet werden müssen auf ihrem Weg des Verzichts. Verzicht an Erstkommunion, Firmung, Freunde, Gemeinschaft. Es ging auch um Einbeziehen und Mithilfe. Und es ging noch um vieles mehr: dass Probleme, die die Kirche beschäftigen jetzt, in der Krisenzeit, noch sichtbarer werden, dass das Pastoralteam aktiv ist, aber eigentlich immer nur einen bestimmten Personenkreis erreicht, viele jedoch nicht. Es wurde die Frage gestellt, wie wir jetzt für die Menschen da sein können und ob wir eigentlich wissen bzw. ob wir gut genug wissen, was sie brauchen? Es wurden Standpunkte zu Fernsehgottesdiensten, gestreamten Gottesdiensten, Freiluft- oder Autogottesdiensten besprochen, Ideen alternativer Gebetsorte vorgestellt und ein grundlegendes Überdenken der Vorstellung von Kirche angesprochen. Und es ging um existentielle Fragen: Wird die Kirche gebraucht? Geht sie ab? Wofür steht Kirche? Was ist das Alleinstellungsmerkmal der Kirche? Weiters wurde die Spannung, die auf uns in Post-Coronazeit zukommt, angesprochen. Sie bewegt sich zwischen den beiden Extremen, dass Kirche so schnell wie möglich wieder so werden soll wie „vorher“ und dass sich Kirche für Veränderung und Anschlussfähigkeit einsetzen soll.
Reduktion erhöht Vielfalt
Da die Treffen im virtuellen Raum stattfanden, konnten Menschen aus dem ganzen Bundesland und auch aus benachbarten Diözesen teilnehmen, die sonst nur selten zusammentrafen. Es ist ein wertvoller Austausch, der hilft, ein Gefühl für die Situation, die Fragen, die Spannungen, die Bedürfnisse zu bekommen – ein Stück mehr das Ganze zu erfassen.
Ich denke viel über die Gespräche nach und immer wieder kommt mir ein den Gesprächsinhalten übergeordneter Begriff in den Sinn: Vielfalt! Die Vielfalt der Menschen, die im Bereich Kirche tätig und die in den Gemeinden sind, die Vielfalt an Themen, mit denen wir konfrontiert sind, die Vielfalt an Zugängen, an Methoden (die sich definitiv in Coronazeiten enorm erhöht hat), die Vielfalt an Bedürfnissen, Möglichkeiten, Ideen und Initiativen und ebenso die Vielfalt an Diskursen, die wir darüber führen und Einstellungen, die wir dazu haben. Die gegenwärtige Situation hat – bei aller Reduktion, die wir erfuhren – andererseits auch Vielfalt erhöht.
Kein Ende in Sicht
Angeregt von den bisherigen virtuellen Reflexionstreffen und den erquickenden Gesprächen möchten wir den Reflexionsraum öffnen und uns rege weiter austauschen, voneinander lernen, miteinander wachsen. Im „virtuellen Kamingespräch: Pastoral und Corona“ werden wir unsere Montagsreflexionen fortsetzen und Pastoral in Coronazeiten in theoretischer und praktischer Perspektive beleuchten. Der Dialog der Teilnehmenden im Sinne einer erkundenden, erfahrungsorientierten, offenen und wertschätzenden Haltung steht dabei im Zentrum und das voneinander Lernen als ein Prinzip der Erwachsenenbildung im Vordergrund. Eine aktuelle Fragestellung – Richtlinien zu Gottesdiensten, pastorale Angebote und Projekte oder theologische Artikel – bildet für die jeweilige Gesprächsrunde eine gemeinsame Grundlage und soll der rote Faden durch das Gespräch sein. Zu den Kamingesprächen laden wir pastorale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Pastoralassistentinnen und Pastoralassistenten, Pfarrgemeinderätinnen und Pfarrgemeinderäte, Priester und alle Interessierten ein. Wir freuen uns und hoffen weiterhin auf einen regen Austausch in dieser – trotz Einschränkungen – so offenen Zeit: offen, wie es weitergeht, offen, was sie für Spuren hinterlässt und offen, welche neuen Wege und Möglichkeiten sie uns zeigt und welche davon die Kirche und auch wir gehen werden.
Birgit Prochazka ist Dissertantin am Institut für Praktische Theologie. Sie promoviert zum Thema „Rassismus in der Pastoral“.
Bildquelle: Privat
http://www.haus-st-stephan.at/institution/5065/kalender/calendar/776796.html