Schulschluss feiern – mit oder ohne Religion?

Von Andrea Lehner-Hartmann, Karin Peter und Helena Stockinger

Wie kann das Ende des Schuljahres feierlich gestaltet werden? Inwiefern soll Religion in einer religiös pluralen Schulgemeinschaft eine Rolle spielen?  Andrea Lehner-Hartmann, Karin Peter und Helena Stockinger erkunden verschiedene Möglichkeiten.

Mit dem nahenden Beginn der Sommerferien wird für alle Schulverantwortlichen die Frage nach der Gestaltung des Schulschlusses virulent. Exkursionen, Wander- und Sporttage, Klassen aufräumen – dafür gibt es oft über Jahre gut eingespielte feste Traditionen, bei denen einzelne Klassen oder die ganze Schule beteiligt sind. Schwieriger gestaltet sich die Frage nach einer gemeinsamen Schulschlussfeier. Gerade wenn eine solche bei einer religiös pluralen Schulgemeinschaft spirituelle Momente beinhalten soll, bereitet das häufig Kopfzerbrechen. Traditionelle Formen einer solchen Feier bringen angesichts der weltanschaulichen Pluralität Schwierigkeiten mit sich. So wird bei Schulmessen zwar auf ein bewährtes Ritual zurückgegriffen, aber nur ein kleiner Teil der Schüler*innen angesprochen. Das Ziel eines gemeinsamen Abschlusses ist damit gerade nicht möglich. Schulen – und damit auch viele Religionslehrer*innen – sehen sich vor die Frage gestellt, ob sie auf eine gemeinsame Feier gänzlich verzichten sollen. Verunmöglicht nun religiöse Vielfalt einen gemeinsamen feierlichen Abschluss?

Religiöse Pluralität als grundlegende Herausforderung für Schule

Die konkrete Frage der Gestaltung des Schulschlusses angesichts einer weltanschaulich pluralen Schulgemeinschaft verweist auf die prinzipielle Frage nach Religion und religiöser Pluralität in der Schule und deren Berücksichtigung. Nicht selten wird religiöse Vielfalt dabei als Störfaktor, als Ursache für Konflikte oder gar eines angeblichen „Kulturkampf[es]“ (Wiesinger 2018) wahrgenommen. In der Konsequenz wird Schule als religionsfreier Raum propagiert, verbunden mit der Hoffnung, sich der Probleme damit entledigen zu können. Aber wird Schule damit ihrem Anspruch und ihrem Auftrag zur Entwicklung und Entfaltung von Heranwachsenden in einem umfassenden Sinn beizutragen gerecht?

Um sich in einer von religiöser und weltanschaulicher Pluralität geprägten Welt kompetent und differenziert bewegen und sich selbst begründet positionieren zu können, bedarf es einer reflexiven Auseinandersetzung mit Religion.

Religiöse Weltdeutungen können als ein Zugang zur Welt neben anderen Zugängen verstanden werden, die von Menschen in verschiedener Weise konkretisiert werden.

Bereits durch die unterschiedlichen Akteur*innen sind religiöse Einstellungen und Weltanschauungen in der Schule in einer Vielfalt präsent, die es zu berücksichtigen gilt. Für Schule – und nicht allein für Religionslehrer*innen – stellt sich entsprechend die Herausforderung, mit Religion und religiösen Überzeugungen in pluraler Ausgestaltung in konstruktiver Weise umzugehen und auch die Potentiale, die damit verbunden sind, zu nützen.

Bedeutung der Berücksichtigung von religiöser Pluralität

Erfahren Schüler*innen, dass sie in ihrer religiösen und kulturellen Unterschiedlichkeit, die sie in den Schulalltag einbringen, positiv wahrgenommen werden, fühlen sie sich an- und ernst genommen. Dabei geht es nicht um Perfektion, also darum, dass umfassende Kenntnisse über religiöse Traditionen vorhanden sind, sondern vor allem um eine bestimmte Haltung und Aufmerksamkeit.

Entscheidend dafür, wie Religion in der Schule berücksichtigt wird und welchen Stellenwert diese hat, ist die an einer Schule gelebte Schul- und Unterrichtskultur. Wie Schule religiöse und weltanschauliche Vielfalt bedenkt, zeigt sich beispielsweise im Umgang mit Zeichen und Symbolen, mit Gebet, mit Kleidung, mit Essensregelungen, aber auch im Umgang mit heiklen Themen, die zum Konflikt- und Streitfall werden.

Zusammen mit vielen Aspekten im Schulalltag zeigt auch der Umgang mit Festen, ob und wie Schulen eine Sensibilität für die in ihnen vorhandene Pluralität haben.

Schon kleine Zeichen und Gesten – wie das Aussprechen von Wünschen anlässlich von Festen verschiedener Religionen: „Wir wünschen allen, die heute/in diesen Tagen xy feiern, ein schönes Fest!“ – können den Eindruck vermitteln, nicht übersehen, sondern wahrgenommen zu werden. Damit wird deutlich, dass alle an der Schulgemeinschaft Beteiligten in dem, was in ihrem Leben wichtig ist, beachtet werden; und es erlaubt jenen, die sich nicht in einer bestimmten religiösen Tradition verorten, sich nicht angesprochen zu fühlen. Es ist ein Signal, dass alle an der Schulgemeinschaft Beteiligten willkommen sind.

Verschiedene Möglichkeiten einer Feiergestaltung unter Berücksichtigung religiöser Pluralität

Wenn Schulen bei einer gemeinsamen Schlussfeier die spirituelle Dimension nicht aussparen möchten, gilt es Feierformen zu entwickeln, in der alle Schüler*innen mit ihrer je spezifischen weltanschaulichen – auch agnostischen oder atheistischen – Haltung im Blick sind. Hilfreich für die Planung und Gestaltung einer passenden Feier ist das Wissen um verschiedene Möglichkeiten und Formen:

Eine (säkulare) Schulfeier mit religiösen Elementen wird von der Schulleitung bzw. einem dafür eingesetzten Lehrer*innenteam inhaltlich verantwortet. Religiöse Elemente stellen einen Teil neben anderen dar. Unterschiedliche Gruppen bzw. Fächer (z. B. Musik, Kunst, Chor, Theater, Sprachen, Sport) erarbeiten Beiträge für die Feier. Wie andere auch bringen Personen aus dem konfessionellen Religionsunterricht oder Vertreter*innen verschiedener Religionsgemeinschaften einen Beitrag ein, der aus der jeweiligen Glaubenstradition heraus gestaltet ist.

Bei einer multireligiösen Feier werden Beiträge von Menschen unterschiedlicher Religionen und Konfessionen gestaltet. Diese werden von den Religions- und Ethiklehrpersonen mit den Schüler*innen und evtl. Repräsentant*innen der Religionsgemeinschaften vorbereitet. Die Schüler*innen vollziehen die Texte und Riten der eigenen weltanschaulichen Tradition mit und sind bei denjenigen anderer Traditionen als Gäste zugegen. Auch Schüler*innen ohne religiöses Bekenntnis können so mitfeiern, ohne vereinnahmt zu werden.

Spirituelle Gastfreundschaft bedeutet, dass die Angehörigen einer weltanschaulichen Tradition andere zum Mitfeiern einladen. In diesem Modell gibt es eine klare Unterscheidung von Gastgeber*innen und Gästen. Die Gäste werden als solche begrüßt, treten als Akteur*innen nicht in Erscheinung, können bei einzelnen Elementen aber mit einbezogen werden. Bei Feiern zu Anlässen aus verschiedenen weltanschaulichen Traditionen nehmen die Schüler*innen so übers Jahr hinweg unterschiedliche Rollen – als Gastgeber*innen und Gäste – ein.

Bei einer interreligiösen Feier wird das Verbindende verschiedener religiöser Positionen betont. Es werden nur Elemente gewählt, die alle Anwesenden gemeinsam mitvollziehen können. Interreligiöse Feiern sind deshalb sehr anspruchsvoll und bergen auch bei genauer Vorbereitung die Gefahr von Vereinnahmungen, Verschleierungen von Unterschieden oder das Potenzial für unbeabsichtigte Kränkungen. Bei aller positiven Absicht geht dies oft zu Lasten von Minderheiten. Bei der Vorbereitung ist ein Miteinbeziehen von Personen mit unterschiedlichen religiösen und weltanschaulichen Hintergründen unabdingbar und setzt im Normalfall einen länger dauernden Verständigungsprozess voraus. Wenngleich in der Praxis sehr schnell und oft auch undifferenziert von interreligiösen Feiern gesprochen wird, ist zu überlegen, ob nicht eine der anderen Formen eine für die Situation angemessenere Feierform ist. (Vgl. Lehner-Hartmann/Peter/Stockinger 2022, 89-96)

Je nach favorisiertem Feier-Modell klären sich Verantwortlichkeiten und Art der Gestaltungselemente. Die Modelle stellen jeweils einen Rahmen dar, der für eine gemeinsame Schulschlussfeier konkretisiert werden kann. Auf diese Weise kann sich im besten Fall an jeder Schule eine Feierform etablieren, die einen gemeinsamen Abschluss des Schuljahres unter Berücksichtigung der religiösen und weltanschaulichen Vielfalt der an der Schule Tätigen ermöglicht.

So lassen sich neue Traditionsformen an Schulen entwickeln, die die spirituelle Dimension nicht ausklammern, sondern unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht werden können.

Dies eröffnet neue Kooperationsmöglichkeiten im Lehrer*innenkollegium und verteilt die Verantwortlichkeiten, die traditionell häufig in erster Linie Religionslehrer*innen zugeordnet werden. Diesen könnte aber die Aufgabe zukommen, als zukunftsweisende Ideengeber*innen zu fungieren.

„Religion betrifft Schule. Religiöse Pluralität gestalten“Konstruktive Anregungen

Religion betrifft Schule. Religiöse Pluralität gestalten, Stuttgart: Kohlhammer 2022.
215 Seiten mit 4 Tab., kartoniert, Reihe: Brennpunkt Schule
ISBN 978-3-17-039838-2, 37,00 EUR

Solchen Überlegungen zur Gestaltung der herausfordernden Aufgabe, religiöser und weltanschaulicher Pluralität in konstruktiver Weise gerecht zu werden, weiß sich der neue Band „Religion in der Schule. Religiöse Pluralität gestalten“ (Lehner-Hartmann/Peter/Stockinger) verpflichtet, der im Juni 2022 in der Kohlhammer-Reihe „Brennpunkt Schule“ erschienen ist. Auch Konfliktives wird dabei nicht ausgespart. Zu Themen, bei denen Religion in der Schule eine Rolle spielt, finden sich kompakte Hintergrundinformationen, konkrete Anregungen und Beispiele sowie Möglichkeiten zur Reflexion der eigenen Schulwirklichkeit.


Andrea Lehner-Hartmann, Univ.-Prof.in Dr.in, ist Professorin für Religionspädagogik und Katechetik am Institut für Praktische Theologie der Katholisch-Theologischen Fakultät sowie am Zentrum für Lehrer*innenbildung der Universität Wien.

Karin Peter, Dr.in, ist Leiterin des FWF Elise-Richter-Projekts „Religionspädagogische Analysen zur Opferthematik“.

Helena Stockinger, Univ.-Prof.in Dr.in, ist Professorin für Katechetik, Religionspädagogik und Pädagogik an der Katholischen Privatuniversität Linz.


Beitragsbild: https://www.shutterstock.com/de/image-photo/school-kids-running-elementary-hallway-back-735954430

Veröffentlicht von Praktische Theologie

Institut für Praktische Theologie Katholisch-Theologische Fakultät Universität Wien Schenkenstrasse 8-10 1010 Wien c/o Assoc.-Prof. Dr. Regina Polak, MAS (Admin)

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