Still all my song shall be, nearer, my God, to Thee

Eva Puschautz

Advent als Zeit, um über biblische Figuren nachzudenken, die möglicherweise nicht die ersten sind, die einem in Erwartung der Ankunft des Retters der Welt in den Sinn kommen. Die Bibelwissenschaftlerin Eva Puschautz wirft ihren Blick auf drei Frauenfiguren, die ihr Leben der Botschaft dieses Christus’ gewidmet haben – in ganz unterschiedlichen Weisen. Ihre Geschichten können bis heute Inspiration sein.

“Still all my song shall be, nearer, my God, to Thee”: Diese Zeile eines sehr bekannten Liedes hat es mir diesen Advent angetan. Nicht, weil es auf der untergehenden Titanic gespielt wurde, und sich diese Welt immer öfters wie ein sinkendes Schiff anfühlt; sondern, weil ich mich mit biblischen Frauenfiguren beschäftige, die ihr gesamtes Leben auf den Kopf gestellt haben, als sie die Botschaft eines Mannes aus Nazareth gehört haben. Sie haben ihr gesamtes Leben – ihr Lied – der Weitergabe des Evangeliums verschrieben, um damit andere und womöglich auch sich selbst näher an Gott heranzuführen.

Ich möchte deswegen die Fragen in den Raum stellen: Was bewegt mich? Wovon lasse ich mich begeistern? Welche Motivation durchdringt das, was ich tue und sage?

Als Bibelwissenschaftlerin fällt mein erster Blick bei der Suche nach Vorbildern, die mich inspirieren können, auf biblische Texte. Mit drei biblischen Frauenfiguren möchte ich auf Weihnachten zugehen.

Phöbe – Verkündigung über Grenzen hinweg

Die erste Frau findet sich weit entfernt vom Weihnachtsereignis. Eine Frau, die uns im Brief des Apostel Paulus an die Gemeinde in Rom begegnet. Lange nach dem Osterereignis und noch viel länger nach der Geburt Jesu. Phöbe eröffnet den Abschluss des Römerbriefes. Paulus schreibt über sie:[1]

1 Ich empfehle euch unsere Schwester Phöbe, die auch Dienerin der Gemeinde von Kenchreä ist:
2 Nehmt sie im Namen des Herrn auf, wie es Heilige tun sollen, und steht ihr in jeder Sache bei, in der sie euch braucht; denn für viele war sie ein Beistand, auch für mich selbst. (Röm 16,1-2)

Phöbe wird von Paulus beauftragt, seinen Brief an die Gemeinde in Rom zu überbringen. Das bedeutete zu der Zeit nicht nur einen schlichten Postbotendienst. Als Überbringerin war sie befugt, den Brief auszulegen.[2] Einer Frau also traut Paulus das zu, worüber sich unzählige Bibelwissenschaftler*innen heute den Kopf zerbrechen und worum sich viele geweihte Köpfe in diversen Predigten wieder und wieder bemühen. Eine Frau namens Phöbe macht sich auf den Weg von Korinth, oder Kenchräe, nach Rom, um Paulus Theologie und seine Auslegungen, inspiriert durch den Mann aus Nazareth, weiter in die Welt hinauszutragen. Wie begeistert muss sie von dieser Botschaft gewesen sein? Phöbe wird auch als Dienerin (Diakonos) der Gemeinde von Kenchräe bezeichnet. Viel wird über diesen Titel diskutiert. Mit einer Weihe hatte er wohl noch nichts zu tun, aber vermutlich mit einer Leitungsposition in der Gemeinde von Anhänger*innen dieser neuen Glaubensrichtung in Kenchräe. Jede*r der*die schon einmal in einer Leitungsposition in einem Verein war, weiß, wie viel Arbeit das ist. Wie viel Managementqualitäten und Mediationserfahrung es oft braucht, um Menschen, die zwar etwas verbindet (in diesem Fall der gemeinsame Glaube), aber die ansonsten auch sehr unterschiedlich sein können, zusammenzuhalten. Phöbe dürfte das Charisma der Leitung, aber auch das Charisma der Verkündigung besessen haben. Paulus hat das erkannt und geschätzt und sie mit einem Brief auf den Weg geschickt, den er als entscheidend für seine weitere Mission angesehen hat.[3] Ohne Menschen wie Phöbe, die dafür gearbeitet haben, dass die Botschaft des Christus hinaus in die Welt getragen wird, würden wir heute wohl kein Weihnachten feiern.

Hanna – Verkündigung auch im hohen Alter, um Hoffnung zu schenken

Die zweite Frau, die mich durch diesen Advent begleitet, ist die Prophetin Hanna aus dem Lukasevangelium. Mit ihr sind wir näher am Weihnachtsereignis als mit Phöbe. Ihre Geschichte verortet der Evangelist Lukas acht Wochen nach der Geburt Jesu. Zu dieser Zeit kamen Maria und Josef mit Jesus als Baby in den Tempel, um das vorgeschriebene Reinigungsopfer darzubringen. Dort lässt der Evangelist die junge Familie mit zwei Personen zusammentreffen. Zuerst mit Simeon, der einen großen Lobpreis über das Kind singt, der bis heute Teil des täglichen Stundengebets ist, das „Nunc dimittis“. Diese Szene ist vielen noch bekannt. Was danach passiert, weiß kaum jemand. Die drei Verse, die mich beschäftigen, sind folgende:

36 Damals lebte auch Hanna, eine Prophetin, eine Tochter Penuëls, aus dem Stamm Ascher.
Sie war schon hochbetagt. Als junges Mädchen hatte sie geheiratet und sieben Jahre mit ihrem Mann gelebt;
37 nun war sie eine Witwe von vierundachtzig Jahren. Sie hielt sich ständig im Tempel auf und diente Gott Tag und Nacht mit Fasten und Beten.
38 Zu derselben Stunde trat sie hinzu, pries Gott und sprach über das Kind zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten. (Lk 2,36-38)

Hanna wird hier zuerst über ihre Familie definiert, um sie tief in alttestamentlicher Tradition zu verankern. Der Name ihres Vaters, Penuel, bedeutet übersetzt „Gesicht Gottes“ und verweist damit auf die drei großen Gestalten des Alten Testaments, die Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen haben (Jakob (Gen 32,23-33), Mose (Gen 33,11) und Elija (1 Kön 19)). Der Stamm aus dem sie kommt, Ascher, ist ein kleiner Stamm im Nordreich, in dem unter anderem Elija gepredigt  und bei einer Witwe gewohnt hat (1 Kön 17-18) . Ein weiterer Verweis dürfte auch sein, dass auch Hannas Namensvetterin aus dem Alten Testament, Hanna, die Mutter Samuels, aus einem Stamm des Nordreichs stammt (1 Sam 1). Ihre Tätigkeiten, der Aufenthalt im Tempel, Gott dienen, fasten und beten, zeigen an, dass sie allzeit bereit ist, Gott zu empfangen und zu erkennen.[4] Deswegen erkennt sie, wer dieses Kind ist. Was mich an dieser Stelle jedoch am meisten fasziniert und inspiriert ist der letzte Satz: Sie „pries Gott und sprach über das Kind zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten.“

Während Simeons Reaktion auf das Kind ist, dass er nun Ruhe finden kann, wird Hanna aktiv. Auch sie wird als sehr alt beschrieben. Aber sie denkt nicht ans Sterben. Sie sieht, dass Gott sein Versprechen gehalten hat und ihre erste Reaktion ist in etwa: „Das muss ich erzählen und weitertragen! Ich kann Menschen damit Hoffnung schenken!“ In dieser Aktivität, in ihrer Wachsamkeit für die Begegnung mit Gott im Alltag und mit ihrer Verkündigung, ist sie mir Vorbild.

Maria – Verkündigung, die an den großen Strukturen rüttelt

Die dritte Frau, die als Inspiration am Weg zum Weihnachtsfest dienen kann, ist Maria mit ihrem Revolutionsgesang, dem Magnificat. Der große Lobgesang Mariens, als sie Elisabeth besucht, zumindest erzählt es so der Evangelist Lukas (Lk 1,39-56). Ein Text, der so viel Sprengstoff in sich trägt, dass es jedes Mal beim Lesen wieder überraschend und bewegend ist. Zwei Frauen führen hier ein Gespräch, etwas, das nicht häufig vorkommt in biblischen Texten, und sie werden erfüllt von heiligem Geist. Elisabeth begrüßt Maria zuerst mit einem Lobpreis auf sie und auf das Kind in ihr und darauf antwortend singt Maria ihren Lobgesang:

46 Da sagte Maria: Meine Seele preist die Größe des Herrn /
47 und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter.
48 Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut. / Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter.
49 Denn der Mächtige hat Großes an mir getan / und sein Name ist heilig.
50 Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht / über alle, die ihn fürchten.
51 Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten: / Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind;
52 er stürzt die Mächtigen vom Thron / und erhöht die Niedrigen.
53 Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben / und lässt die Reichen leer ausgehen.
54 Er nimmt sich seines Knechtes Israel an / und denkt an sein Erbarmen,
55 das er unsern Vätern verheißen hat, / Abraham und seinen Nachkommen auf ewig. (Lk 1,46-55)

Dieses Gebet, das bis heute jeden Abend von Menschen auf der ganzen Welt als Höhepunkt der Vesper gebetet wird, rekapituliert einerseits die Geschichte des Volkes Israels und verwurzelt damit Maria in dieser Tradition, und andererseits ist es ein hoffungsvoller Ausblick in die Zukunft, der sich daraus speist, dass Maria an ihrem eigenen Körper erfährt, wie Gott in die Welt eingreift, gerade wenn sie hoffnungslos erscheint, aufgrund von persönlichen oder gesellschaftlichen Entwicklungen. Marias Schwangerschaft, so wie sie Matthäus und Lukas darstellen, könnte ihr Ende sein. (Eine junge, unverheiratete Frau wird schwanger, und ihr Verlobter sagt, er weiß von nichts.) Die politische Situation, in die das Kind hineingeboren wird und in der Jesus dann predigt, ist mehr als angespannt unter der römischen Besatzung. Die Endzeitstimmung kommt nicht von ungefähr – und Maria fasst diese Herausforderungen in einen massiv sozialkritischen Lobpreis, in welchem sie ungerechte Machtstrukturen benennt und verheißt, dass diese geändert werden.

Zwei Frauen treffen aufeinander und im Austausch über ihre Schwangerschaften und im Ausblick auf die Welt, die sie für ihre Kinder erhoffen, drücken sie aus, dass es einen kompletten Umsturz der sozialen Ordnung braucht, um die Welt zu schaffen, in der sie ihre Kinder wirken sehen wollen. All das passiert in einer chaotischen Welt und all diese Umbrüche werden chaotisch sein. Wenn all die weihnachtliche Idylle, die wir versuchen in den kommenden Wochen zu kreieren, wieder einmal auseinanderfallen zu droht, ist dieser Text der perfekte Ort, um daran zu erinnern, wie aufregend, begeisternd, chaotisch und herausfordernd die Botschaft ist, mit der Jesus zur Welt kommt. Auch mein Weihnachten darf so aufregend und chaotisch sein.

Verkündigen – weil die Botschaft Gottes uns bewegt und hinausgetragen werden will

Das Leben dieser drei Frauen wandelt sich durch die Begegnung mit der Botschaft Gottes. Sie sind in ganz unterschiedlichen Stadien ihres Lebens. Hanna ist sehr alt, Maria sehr jung und zu Phöbe haben wir keine Altersangabe. Was sie gemeinsam haben, ist ihre Bereitschaft, Gottes Botschaft zuerst zu hören, sie dann in ihr Leben zu lassen und sie lauthals hinauszutragen. Wenn die Auseinandersetzung mit diesen Texten uns etwas sensibler für die Suche nach der Botschaft Gottes heute macht, dann hat sich unser Leben schon bewegt.

Eva Puschautz, Mag.a ist Universitätsassistentin (Prae-Doc) am Fachbereich für Neues Testament der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien


[1] Alle Schriftzitate sind der EÜ 2016 entnommen.

[2] Vgl. Merz, Annette, Phöbe von Kenchreä. Kollegin und Patronin des Paulus, in: BiKi 65 (2010) 228-232, hier: 229. 

[3] Vgl. Gielen, Marlis, Der Römerbrief, Ein systematisch-theologisches Lehrschreiben ohne Situations-bezug? in: BiKi 64 (2010) 126-131, hier 126-127. 

[4] Vgl. JANSSEN, Claudia, Elisabet und Hanna. Zwei widerständige alte Frauen in neutestamentlicher Zeit; Eine sozialgeschichtliche Untersuchung, Ostfildern 1998, 183-184.

Bildquelle: Chartres Kirchenfenster: Der Besuch Marias bei Elisabet Lk 1,39, by Hubertl_Wikimedia Common

Veröffentlicht von Praktische Theologie

Institut für Praktische Theologie Katholisch-Theologische Fakultät Universität Wien Schenkenstrasse 8-10 1010 Wien c/o Assoc.-Prof. Dr. Regina Polak, MAS (Admin)

Ein Kommentar zu “Still all my song shall be, nearer, my God, to Thee

  1. Wunderbar. Hab wieder was dazugelernt:
    Die Rolle der Phöbe bei der Verbreitung des Evangeliums war mir bis jetzt nicht bewusst.

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