Jona: Der alte Mann und das Meer

David Novakovits


Den Beginn unserer neuen Reihe „ausErlesen“ macht David Novakovits, PostDoc im Fachbereich für Religionspädagogik und Katechetik, mit seinen Überlegungen zur Jona-Erzählung im Alten Testament – und wie diese ihn in seiner religionspädagogischen Forschung und Lehre inspiriert

Die Jona-Erzählung ist für mich eine der faszinierendsten Geschichten der Bibel. Sie ist kurz (das ist immer gut), und sie ist schön – ! Man kann hier eine nahezu märchenhafte Geschichte lesen und hören, die auf den ersten Blick recht unverständlich und daher auch geheimnishaft ist, was ihre Faszination noch erhöht. Es ist die Erzählung von einem Propheten – Jona – , der von Gott einen Auftrag bekommt: „Steh auf! Geh nach Ninive, in die riesige Stadt! Rufe gegen sie aus, denn ihre Bosheit ist bis vor mein Angesicht hinaufgedrungen.“ (Jona 1,2) Jona soll nach Ninive gehen, der Hauptstadt des Assyrischen Reiches und damit eine Metropole der damaligen Zeit, und soll ihr den Untergang ankünden. Was macht aber Jona? Man könnte sagen: das Gegenteil! Kaum hört er das Wort Gottes, läuft er weg und geht in die entgegengesetzte Richtung – bis nach Tarschisch, Synonym für das ‚Ende der Welt‘.

Er gibt nicht einfach Gottes Wort weiter (wie man es von einem guten ‚Lehrer‘ erwarten könnte), sondern handelt recht eigenwillig – das wird deutlich, wenn man sich etwa seine Ideen zur Lösung von Problemen ansieht: Zunächst will er sich auf einem Schiff vor Gott verstecken, doch Gott „schleuderte einen gewaltigen Sturm übers Meer“ (Jona 1,4) und das Schiff gerät in höchste Seenot. Alle Seeleute beten verzweifelt – „ein jeder zu seiner Gottheit“ (Jona 1,5) – nur einer nicht: Jona. Der schläft im Bauch des Schiffes. Als alle an Bord verstehen, dass der Sturm mit Jonas Flucht vor Gott zusammenhängt, offenbart sich Jona als pragmatisch, aber auch recht fatalistisch: „Nehmt mich und werft mich ins Meer, dann wird euch das Meer in Ruhe lassen“ (Jona 1,12). Man möchte sofort in die Geschichte hineinrufen: Was soll das denn für eine Lösung sein? Anstatt irgendwie zu schauen, wie man aus diesem Schlamassel nun wieder halbwegs unbeschadet hinauskommt, möchte Jona lieber ‚untergehen‘.

Und dann natürlich: Jona und der Wal. Verschlungen von den Chaoswassern, mitten in einer tiefen Krise, findet dann Jona doch wieder zur Sprache: Im Bauch des riesigen Fisches spricht er ein Gebet. An Jona wird deutlich, wie radikal der Fortgang einer (menschlichen) Geschichte davon abhängt, dass man umlernt: Gerade noch wollte Jona vom Höchsten fliehen und sein Leben aufgeben, nun verfasst er ein wunderschönes – man möchte fast sagen – Gedicht für Gott. Sieht man sich dieses näher an, erkennt man: Jona ist richtig kreativ – er baut sich sein Gebet aus verschiedenen Psalmen zusammen. Es ist schön zu sehen, was für ein ganz freier Umgang Jona mit den heiligen Texten seiner Tradition gelingt, wie er den ‚alten‘ Texten einen Sinn verleiht, indem er sie benutzt, um in seiner Situation zur Sprache zu finden – der Sinn dieser Texte wird von ihm nicht einfach übernommen! (Ich finde es darüber hinaus faszinierend, dass die Bibel immer wieder so eindrücklich zeigt, dass Menschen sich in den Wörtern von Erzählungen wieder-finden können, dass Wörter so etwas wie der feste Boden sind, auf dem unser menschliches Dasein wieder Halt finden kann. Dieses Vertrauen in die Kraft von Gebeten und Erzählungen ist beeindruckend – gerade auch heute, wo wir – wie Ninive – auf eine Katastrophe der Zerstörung zuzusteuern scheinen.)

Aus religionspädagogischer Perspektive finde ich die Geschichte von Jona deswegen faszinierend und nahezu humorvoll, weil Jona jede seriöse Annahme, wie Lehren und Lernen vor sich geht, ad absurdum führt. Das sieht man dort, wo er sich dann doch entschließt, nach Ninive zu gehen (auch schön übrigens der Ausdruck: „Ninive war aber selbst für Gott eine große Stadt.“ – Jona, 3,3). Jona ruft irgendwo in dieser Stadt umher, dass Ninive in 40 Tagen zerstört wird – und auf einmal: „Da setzten die Leute von Ninive Vertrauen in Gott.“ (Jona 3,5) Ich finde diese erzählte Resonanz auf Jonas Wörter zutiefst beeindruckend: Da geschieht wirklich etwas, womit niemand gerechnet hat. Jona hat ja nicht einmal gesagt: Wenn ihr umkehrt, dann vergibt Gott euch (vielleicht). Aber dennoch: Die Menschen von Ninive beginnen sich zu ändern, sie reagieren angesichts ihrer Zerstörung.

Man kann sich vorstellen, dass Jona das nicht einmal voller Überzeugung ausgerufen haben mag; man kann sich auch gut ausmalen, dass Jona gehofft hat, dass niemand in diesem Treiben seine Worte hören wird – aber was geschieht? Die ganze riesige Stadt bekehrt sich, „in der es mehr als 120 000 Menschen gibt“ (Jona 4,11) Man möchte fast sagen: Was für ein erfolgreicher Lehrer! Jona spricht bloß eine Wahrheit aus, und man kann nur staunen: was für einen Effekt hat dieses Wahrsprechen! Da hat wohl jemand die richtigen Worte gefunden.

Eine letzte Facette der Jona-Erzählung möchte ich noch hervorheben, und sie ist wohl die wichtigste. Es ist die schwierigste Frage der Erzählung: Warum ist Jona so zornig auf Gott? Warum zornig darüber, dass Ninive sich bekehrt, und zornig darüber, dass Gott ihnen verzeiht? Jona entbrennt vor Wut – so sagt er es zumindest Gott – weil er wusste, „dass du ein gnädiger und barmherziger Gott bist, mit langem Atem und reich an Freundlichkeit. Du überlegst es dir wegen des Unheils noch einmal anders.“ (Jona 4,2)

Viel könnte man hier nun sagen über die Frage nach dem Verhältnis von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, welche das Buch hier öffnet. Etwas anderes möchte ich jedoch ansprechen: Jona ärgert sich darüber, dass Gottes Wort nicht ein für alle mal feststeht; dass es nicht möglich ist, an ein unveränderliches Wort Gottes zu glauben; und letztlich: dass das Wort Gottes lebt.

Die Wahrheit kann biblisch nicht festgehalten, festgestellt, besessen werden. Und Gott möchte Jona für diese Wahrheit gewinnen – dafür, eher der Welt treu zu bleiben (mit ihr ein Bündnis einzugehen) als an ein Wort Gottes zu glauben, das in seiner Abgeschlossenheit die Menschen in ihrem Dasein nicht wahrnimmt und nicht wahr-nehmen kann.

Die Jona-Geschichte ist eine biblische Ressource, die mein religionspädagogisches Denken mitprägt: Es zeigt, dass es in Fragen der religiösen Bildung niemals um die Vermittlung von in-sich-geschlossenen Wahrheiten gehen kann, ja, das solche Art von Wahrheiten auch eine zerstörerische Dimension besitzen. Gleichzeitig ist die Geschichte davon geprägt, dass Lernen eine faszinierende, aber auch teils recht undurchschaubare Angelegenheit ist – warum lernt jemand, warum nicht? Lernen ist aber in der Erzählung immer ein Begegnungs-, ein Interaktionsgeschehen (sowohl zwischen Jona und Gott als auch zwischen Jona und Ninive). Dies weist mich darauf hin, der Beziehungsebene bei religionspädagogischen Prozessen immer auch eine wichtige Beachtung zu schenken.

Auf einer anderen Ebene hat mich die Geschichte noch etwas gelehrt: Vieles kann man nicht alleine verstehen – ich finde die Jona-Geschichte zwar schön, aber auch sehr befremdlich; ohne die Hilfe von anderen (Jakob Deibl, Jürgen Ebach und Klaus Heinrich) hätte sich mir diese Geschichte wohl nie sinnvoll erschlossen. Als Aufgabe für Religionspädagog*innen sehe ich daher genau dies als fundamentale Aufgabe an: Biblische Erzählungen, die ‚an sich‘ oftmals völlig unverständlich geworden sind, in den Kontexten der Gegenwart neu lebendig zu machen und die Frage nach ihrer Bedeutung gemeinsam mit Schüler*innen neu auf das Spiel zu setzen.

David Novakovits ist Universitätsassistent (post-doc) am Institut für Praktische Theologie und forscht zu Fragen im Spannungsfeld von Religionsphilosophie und Religionspädagogik.

Bild: Shutterstock

Veröffentlicht von Praktische Theologie

Institut für Praktische Theologie Katholisch-Theologische Fakultät Universität Wien Schenkenstrasse 8-10 1010 Wien c/o Assoc.-Prof. Dr. Regina Polak, MAS (Admin)

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