Fasten – (nicht nur) ein Thema für die Schule

von
Andrea Lehner-Hartmann, Karin Peter und Helena Stockinger

Von 23. März bis 8. April 2023 sind es 17 Tage, in denen sich die ‚großen Fastenzeiten‘ von Muslim:innen, orthodoxen und katholischen Christ:innen heuer überschneiden. Für katholische Christ:innen begann in diesem Jahr mit 22. Februar die Fastenzeit als Vorbereitung auf das bewegliche Osterfest, das am 9. April gefeiert wird. Orthodoxe Christ:innen fasten von 27. Februar bis zu dem heuer am 16. April begangenen Osterfest. Mit 23. März beginnt der islamische Fastenmonat Ramadan, der jedes Jahr ca. 10-12 Tage nach vorne rückt, weil er am Mondkalender ausgerichtet ist.

Die sich überschneidenden Fastenzeiten dieser religiösen Traditionen sind ein Anlass, sich dem Thema Fasten anzunehmen. Aus religionspädagogischer Perspektive gilt es näher zu bedenken, ob und wie sich Fasten in der Schule zeigt, wie auftauchenden Schwierigkeiten begegnet werden könnte und welches Potential mit der Fastenthematik verbunden ist.

Fasten als säkulares Phänomen

Fasten zeigt sich gesellschaftlich gegenwärtig wesentlich als ein säkulares Phänomen. Dabei ist mit Fasten eine frei gewählte Enthaltung gemeint; Unverträglichkeiten oder Ess-Störungen, in denen die freie Entscheidung der Abstinenz oder der Enthaltsamkeit von bestimmen Speisen oder Getränken eingeschränkt sind, fallen nicht darunter. Motivation für eine bestimmte Fastenpraxis können körperliche Gesundheit, Fitness oder die Annäherung an ein Schönheitsideal sein. Besonders diskutiert und gehypt wird das Alkoholfasten. Zunehmend gewinnen auch tierethische und klimaförderliche Überlegungen an Bedeutung.

Religiöses Fasten: eine Grundidee mit verschiedenen Ausprägungen

Auch aus religiösen Gründen wird gefastet. In allen religiösen Traditionen gibt es Fastenpraktiken als Teil eines ganzheitlichen spirituellen Geschehens. Entscheidendes Anliegen eines solchen Fastens ist es, die Beziehung zum Göttlichen, zu den Mitmenschen, zur Welt und zu sich selbst zu reflektieren und bewusster zu gestalten.

Religiöses Fasten soll dazu beitragen innerweltliche Gegebenheiten nicht absolut zu setzen, sondern sich als gläubiger Mensch der Ausrichtung am Göttlichen zu vergewissern und dieses zu stärken. Religiöses Fasten birgt aber auch konkrete gemeinschafts- und persönlichkeitsbildende Aspekte. Damit verbunden sind Sensibilisierungs- und Solidaritätseffekte gegenüber anderen Menschen, besonders gegenüber jenen, die weniger zum Leben haben und um ihre Existenz kämpfen müssen. Fasten geht in diesem Sinn immer mit einem Bemühen um ein gutes Leben für alle einher. Es kommt aber auch den Fastenden selbst zugute, insofern es eine gesundheitlich-körperliche Komponente umfasst und die eigene Selbstwirksamkeit durch eine bewusste und entschiedene Lebensgestaltung stärkt.

Nicht nur eine individuelle Angelegenheit

Fasten kann nicht nur als eine individuelle Angelegenheit angesehen werden – und hier mag ein wesentlicher Unterschied zu gesundheitlich orientiertem Fasten liegen –, sondern beinhaltet auch politische Aspekte. In diesem Sinn kommen über die Nahrungsaufnahme hinaus auch weitere Dimensionen in den Blick. Zu reflektieren, wie ich lebe, welchen Lebensstil ich pflege, heißt auch, zu entdecken, ob ich auf Seite der Privilegierten angesiedelt bin und mir entsprechend Verantwortung für andere zukommt, oder ob ich selbst unter unterdrückerischen und ungerechten Verhältnissen leide.  Fasten als Bewusstwerdungsprozess zielt immer auch auf die Veränderung von Lebensverhältnissen. Gerade mit Blick auf die Klimakrise wird momentan von religiösen Einrichtungen das „Klimafasten“ beworben. So rufen 25 Partner:innen in Deutschland in einem ökumenischen Projekt, in dem evangelische Kirche, katholische Bistümer sowie zwei Hilfswerke vertreten sind, zum Fasten für die Umwelt auf. Auch hierin wird besonders deutlich, dass Fasten nicht ausschließlich eine individuelle, sondern auch eine politische Bedeutung haben kann.

Fasten in den unterschiedlichen Religionen

Die konkreten Ausprägungen der Fastenvorschriften und Fastenzeiten der verschiedenen religiösen Traditionen sind sehr unterschiedlich gestaltet.

Im Ramadan üben sich gläubige Muslim:innen von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang in einem Abbruchfasten. Dies konkretisiert sich in einer Enthaltsamkeit, die Speisen, Flüssigkeit, Zigaretten, Sexualität und auch die verbale Ausdrucksweise umfasst. In der christlich-orthodoxen Tradition wird die Fastenzeit zur Vorbereitung auf Ostern von Gläubigen als Enthaltungs- und Abstinenzfasten begangen, das sich auf besondere Nahrungsmittel und Speisen, wie Fleisch, Fisch, Eier, Milchprodukte und Öl bezieht. In der römisch-katholischen Tradition haben die traditionell umfangreichen und strengen Fastenvorschriften seit dem II. Vatikanischen Konzil entscheidende Lockerungen erfahren. Als gebotene Fasttage gelten nur mehr Aschermittwoch und Karfreitag, an denen auf Fleisch verzichtet und nur ein Sättigungsmahl eingenommen werden soll.

Religiöses Fasten von Kindern und Jugendlichen im Schulkontext

In allen religiösen Traditionen gelten die Fastengebote nicht gleichermaßen für alle Menschen. In der Regel sind Kranke, Schwangere, alte Menschen, Reisende und Kinder von vornherein ausgenommen. Dennoch gibt es immer wieder Kinder und Jugendliche, die sich in religiösen Fastenpraktiken üben. Motivation dafür kann die vollwertige Teilnahme am Leben der Erwachsenen sein oder der Reiz der Herausforderung und Erprobung sowie ein Austesten körperlicher Grenzen und des Durchhaltevermögens.

Je nach Schüler:innenpopulation kann die Verpflichtung zum Fasten stark von der Gruppendynamik in der Peergroup abhängig sein. Es können sowohl Erfahrungen des Zusammenhalts und der Identität, aber auch Zwänge damit in Zusammenhang stehen. Hier sind kluge Interventionen von Lehrpersonen gefragt, die autonomiestärkend ausgerichtet sind, ohne religiöse Traditionen abzuwerten.

Fasten kann im Kontext Schule auch dann zur Herausforderung werden, wenn Personen durch rigide Fastenpraktiken im Schulalltag beeinträchtigt sind oder ihre Gesundheit riskieren. Hier braucht es das Gespräch mit verschiedenen Beteiligten und das gemeinsame Suchen nach Lösungen. Orientierung geben können Fastenanbahnungen, wie sie von den verschiedenen religiösen Gemeinschaften vorgeschlagen werden, um Kinder schrittweise und altersgerecht an das Fasten heranzuführen. Möglich ist dies durch Fasten für einen eingeschränkteren Zeitraum, z. B. nur für vereinbarte Stunden oder für einen Viertel- oder Halbtag oder durch den Verzicht auf bestimmte Nahrungsmittel, wie beispielsweise Süßigkeiten. Im Islam ist außerdem die Möglichkeit – und Pflicht – verbreitet, „versäumte“ Fastentage nachzuholen. Jugendliche, die sich bereits in vollumfänglicher Weise am Ramadan beteiligen, gibt dies Gelegenheit, an anstrengenden Schultagen etwas zu sich zu nehmen und den „versäumten“ Fasttag dann nachzuholen, wenn dies besser möglich ist.

Fasten als dezidiertes Thema im Unterricht

Auch als konkretes Unterrichtsthema ist Fasten im größeren Kontext von Essen und Trinken lohnend, da in diesem individuelle, kollektive, kulturelle, gesundheitliche, ethische und religiöse Aspekte zusammenspielen. Es bietet sich ein fächerübergreifendes Projekt an, um verschiedene Aspekte in den Blick zu nehmen. So können gesundheitliche Aspekte des Fastens von Ernährungslehrpersonen, Biologielehrer:innen oder Schulärzt:innen beleuchtet werden, künstlerische Ausdrucksformen und geschichtliche Aspekte in Fächern wie Kunst und Geschichte und Sozialkunde thematisiert werden und im Philosophie-, Ethik- oder Religionsunterricht die spirituelle, religiöse und politische Bedeutung in verschiedenen weltanschaulichen Traditionen besprochen werden.

Da Fasten in konkrete religiöse Zeiten eingebettet ist, bietet es sich an, das Thema an diesen genauer zu beleuchten. Keine „fast food-Antworten“ sind hilfreich, sondern ein vertiefendes Eintauchen, das Zeit gibt und so unterschiedliche Facetten beleuchten lässt: Wozu soll Fasten gut sein? Wem nützt es, wenn ich faste? Ausgehend von diesen Fragen kann das Thema Fasten theologisch aufgegriffen werden. Werden Selbstversuche von Schüler:innen angestrebt, ist darauf zu achten, dass diese nicht oberflächlich gewählt werden, sondern aus einer fundierteren Auseinandersetzung erwachsen. Diese experimentellen Erfahrungen können erahnen lassen, was es heißt, sich in Selbsttranszendenz zu üben, sich darüber gemeinschaftlich auszutauschen und den Fragen nach dem Sinn des Lebens unter einer neuen Perspektive nachzugehen. Dies bedeutet in Kontrast zu moralisierend geprägten didaktischen Versuchen, zu erleben, wie es ist, der eigenen Existenz unter Einbeziehung möglichst vieler Sinne und Fähigkeiten auf den Grund zu gehen. Wichtig für die Anleitung zu diesen Reflexionen ist, dass die Erfahrungen nicht nur auf individuelle Gewinne und Erkenntnisse fokussiert bleiben, sondern auch deren politischen und sozialen Implikationen beachten: Wie werden die anderen wahrgenommen? Was hat sich in der Sichtweise auf die Welt verändert? Was wird neu erkannt? Wo muss gehandelt werden?

Dem Fasten ist neben der individuellen Bedeutung die Aufmerksamkeit für andere somit ein Solidaritätsaspekt inhärent. Schulgemeinschaften können sich davon inspirieren lassen, eigenes Tun daraufhin zu reflektieren, inwiefern im Kontext Schule zu einem gerechten Zusammenleben aller beigetragen werden kann und welchen Personen oder Themen besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte.

Ausführlicher und weiterführende Hinweise siehe in: Lehner-Hartmann, Andrea/Peter, Karin/Stockinger, Helena: Religion betrifft Schule. Religiöse Pluralität gestalten. Stuttgart: Kohlhammer 2022, 137-147.


Beitragsbild: Jeremy Yap auf Unsplash

Veröffentlicht von Praktische Theologie

Institut für Praktische Theologie Katholisch-Theologische Fakultät Universität Wien Schenkenstrasse 8-10 1010 Wien c/o Assoc.-Prof. Dr. Regina Polak, MAS (Admin)

Ein Kommentar zu “Fasten – (nicht nur) ein Thema für die Schule

  1. Liebe Andrea
    Liebe Karin
    Liebe Helena

    Fasten ist ja ein Verzicht. Ein Verzicht aus freiem Willen, eine eigene Entscheidung, aber auch für einen Zweck. Kann es sein, dass wir Menschen einer Konsum-Gesellschaft nur auf etwas Verzichten, weil wir uns etwas nicht leisten können? Nein zu sagen fällt bekanntlich Ja-Sagern sehr schwer.
    Der Verzicht zum Wohl und zur Ehre anderer oder gar Gott kann ein Gewinn sein, weil der Verzicht einen Segen ausschüttet, der nur so zu erlangen ist.

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