Am brennenden Dornbusch (Ex 3)

Karin Peter


Die Reihe ausErlesen wird in diesem Monat von Karin Peter, Projektleiterin im Fachbereich Religionspädagogik und Katechetik, weitergeführt. Sie verdeutlicht in ihrem Beitrag, inwiefern die alttestamentliche Erzählung vom brennenden Dornbusch (Ex 3) eine Leitlinie für ihr religionspädagogisches Arbeiten ist.

Dieser Text begleitet mich schon lange. In meiner Ausbildung zur (Religions-)Pädagogin hat ihn eine Lehrende eingebracht, um eine ‚biblische Ethik‘ zu entwickeln. Seither ist er in besonderer Weise mit mir auf dem Weg, immer wieder greife ich auf ihn zurück. Er ist Leitlinie für mich in meinem religionspädagogischen Tun, ein Text, den ich immer wieder konkret ausbuchstabiere: Exodus 3. Die Begegnung von Mose mit Gott im brennenden Dornbusch.

Biblische Kontextualisierung

Die Situation, in die hinein diese Schlüsselstelle innerhalb des biblischen Erzählduktus gestellt ist: Das Volk Israel wird in Ägypten zunehmend unterdrückt, der Pharao geht mit harter Hand gegen die Israelit:innen vor (Ex 1,9). Sie werden zu Sklaven gemacht (Ex 1,14), Fronvögte werden eingesetzt, um sie „durch schwere Arbeit unter Druck zu setzen“ (Ex 1,11). Außerdem kommt eine schreckliche Geburtenkontrolle zum Tragen. Alle neugeborenen Knaben werden getötet, nur die Mädchen dürfen am Leben bleiben (Ex 1,15-22).

Das Schicksal des Israeliten Mose, der in diese Situation hinein geboren wird, scheint entsprechend besiegelt. Und doch wird er durch das Engagement verschiedener Frauen gerettet. Zunächst wird Mose von seiner Mutter versteckt (Ex 3,2). Als dies nicht mehr möglich ist, setzt sie ihn in einem Binsenkästchen auf dem Nil aus. Dort bleibt er unter den wachsamen Augen seiner Schwester, die ihn vom Ufer aus begleitet (Ex 2,3-4), bis er von der Tochter des Pharao gefunden wird (Ex 2,6). Auf Initiative seiner Schwester wird seine leibliche Mutter als Amme angefragt (Ex 2,7-9), ehe er am Hof des Pharao aufgenommen wird (Ex 2,10). Mose ist so einer, der in und zwischen zwei Welten aufwächst. Wohl sensibilisiert durch seine ‚doppelte Zugehörigkeit‘ greift er nach dem Übergriff eines ägyptischen Aufsehers gegenüber einem Israeliten ein und tötet den Ägypter (Ex 2,11-12). Vom Pharao verfolgt flüchtet er nach Midian, wo er sich niederlässt und eine Familie gründet (Ex 2,12-22).

„Ich habe das Elend gesehen und die Klage gehört“

Auch in seiner neuen Heimat geht Mose ‚über Grenzen‘. Er treibt das Vieh „über die Steppe hinaus“ (Ex 3,1). Am Gottesberg Horeb weckt ein Dornbusch, der brennt und doch nicht verbrennt, seine Aufmerksamkeit. Es ist der Ort, an dem Gott ihm begegnet (Ex 3,2).

In dieser Begegnung stellt sich Gott auf zweifache Weise vor. Zum einen als der, der mit Moses Vorfahren und mit Mose selbst vertraut ist. Zum anderen als der, der um die aktuelle Situation des Volkes weiß: „Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen und ihre laute Klage über ihre Antreiber habe ich gehört. Ich kenne ihr Leid.“ (Ex 3,7) Gott erweist sich wesentlich als einer, der Elend und Klageschreie von Leidenden wahrnimmt.

Dieser spezifische Blick Gottes stellt für mich eine entscheidende Anregung für theologisches und religionspädagogisches Arbeiten dar: Eine Situation hinsichtlich derer in den Blick zu nehmen, die unter dieser zu leiden haben, die durch diese eingeschränkt und beeinträchtigt sind. Und weiterführend aufmerksam für Zusammenhänge und Strukturen zu sein, die Leidenssituationen, die Einschränkungen und Beeinträchtigungen hervorrufen oder begünstigen.

Im religionspädagogischen Feld bedeutet dies für mich, mich mit einer spezifischen Perspektive innerhalb des Bildungskontexts zu orientieren: Wer, der an Bildungsprozessen Beteiligten kommt in diesen unter die Räder? Wessen Entwicklung ist in welcher Hinsicht eingeschränkt? Und inwiefern trage ich selbst bzw. meine Disziplin dazu bei, dass unterdrückerische Mechanismen perpetuiert werden?

In einem zweiten Schritt gilt eine Aufmerksamkeit für Unterdrücktes auch in thematischer Hinsicht: Welche Zugänge und Themen werden ausgeblendet und kommen nicht vor – sowohl im bildungspolitischen Diskurs als auch in konkreten Schulkontexten?

„Ich bin herabgestiegen, aus der Hand der Ägypter zu entreißen“ – „Und jetzt geh! Führe aus Ägypten heraus!“

Das Agieren Gottes bleibt in der biblischen Erzählung aber nicht auf einer Wahrnehmungsebene. Es geht mit einer spezifisch ausgerichteten Initiative einher: „Ich bin herabgestiegen, um sie [die Israelit:innen] aus der Hand der Ägypter zu entreißen und aus jenem Land hinaufzuführen in ein schönes, weites, Land“ (Ex 3,8). Das Ziel der Selbstmitteilung Gottes ist Beendigung von Unterdrückung, das Ziel ist Freiheit. In dieses ‚Freiheitsprojekt‘ wird Mose mit einbezogen. Er wird von Gott in die Pflicht genommen und erhält den klaren Auftrag, in diesem Sinn zu wirken: „Und jetzt geh! Ich sende dich zum Pharao. Führe mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten heraus!“ (Ex 3,10)

Religiöse Bildung verstehe ich in diesem Sinn wesentlich als ein ‚Freiheitsprojekt‘. Und die Religionspädagogik und mein religionspädagogisches Tun als eines, das diesem Ziel und dem Auftrag, daran mitzuwirken, verpflichtet ist.

Zielhorizont ist für mich entsprechend das je neue und stetig erforderliche Mitwirken am Aufdecken und Aufbrechen von unterdrückerischen und kleinmachenden Strukturen und Praktiken in Bildungsprozessen – um im Dienst der größtmöglichen Freiheit aller möglichst gute Bedingungen für Entfaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten der Beteiligten zu gewährleisten. Dies schließt wesentlich die Weitung des Horizonts der an Bildungsprozessen Beteiligten mit ein, um umfassenderes Verstehen und Begründen von eigenen wie fremden Positionen zu ermöglichen. Entscheidend scheint mir dabei, vertiefendes, reflexives Verstehen zu fördern und zu begleiten – durch eine umfassende und differenzierte Auseinandersetzung mit ‚großen Fragen‘, die das Leben und das Zusammenleben von Menschen entscheidend ausmachen: Fragen nach Freiheit und Verantwortung, nach Gerechtigkeit und Frieden, nach Schuld und Versöhnung, nach Leid und Glück, …

Dies beinhaltet auch eine konstruktiv-kritische Auseinandersetzung mit der religiösen Dimension. Es meint auch das grundlegende Einbringen einer transzendenten Dimension in Bildungskontexte, gerade wenn diese ganz in immanenten Zusammenhängen aufzugehen scheinen.

„Da brannte der Dornbusch und verbrannte doch nicht“

Dem Ausgangspunkt für die Begegnung von Mose mit Gott, dem brennenden Dornbusch, ist nicht nur etwas Außergewöhnliches und Lebendiges, sondern auch etwas Bleibendes inhärent. Mose wird auf den Dornbusch aufmerksam, weil dieser brennt – und doch nicht verbrennt. Assoziativ weitergedacht bedeutet dies: Der Dornbusch brennt weiter, noch immer, auch heute. Die Begegnung mit Gott, die Perspektive Gottes für die Leidenden, der Auftrag, am Freiheitsprojekt für alle mitzuwirken – sie gelten über die biblische Erzählung hinaus, noch immer, auch heute. In meiner Einschätzung sind sie Leitlinie sowohl für die Religionspädagogik als Disziplin insgesamt als auch für mich persönlich.

Karin Peter ist Leiterin des FWF Elise-Richter-Projekts „Religionspädagogische Analysen zur Opferthematik“ am Institut für Praktische Theologie


Bild: Hans auf Pixabay

Veröffentlicht von Praktische Theologie

Institut für Praktische Theologie Katholisch-Theologische Fakultät Universität Wien Schenkenstrasse 8-10 1010 Wien c/o Assoc.-Prof. Dr. Regina Polak, MAS (Admin)

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